Seit Jahren leuchtet sie auf den Displays unserer Fitnesstracker und Smartphones auf: die magische Zahl 10.000 Schritte. Sie gilt als Synonym für einen aktiven, gesunden Lebensstil und motiviert Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Doch woher stammt diese allgegenwärtige Empfehlung eigentlich? Die Antwort mag überraschen: Sie geht nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurück, sondern auf die Idee einer Marketingabteilung.
Ihre Geschichte beginnt im Japan der 1960er-Jahre, im Vorfeld der Olympischen Spiele 1964 in Tokio. Das Unternehmen Yamasa brachte damals den ersten kommerziellen Schrittzähler auf den Markt. Um das Produkt besser zu vermarkten, erhielt es den Namen „Manpo-kei“, was so viel wie „10.000-Schritte-Zähler“ bedeutet1Cox, D. (2018, September 3). Watch your step: Why the 10,000 daily goal is built on bad science. The Guardian. https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2018/sep/03/watch-your-step-why-the-10000-daily-goal-is-built-on-bad-science.. Die Zahl 10.000 wurde nicht etwa aufgrund wissenschaftlicher Daten, sondern weil sie eingängig klang und positiv besetzt war, gewählt.
Letzte Aktualisierung am 6.11.2025 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API
Die Kampagne war ein voller Erfolg. Das Konzept war so einfach und greifbar, dass es sich weltweit verbreitete und über Jahrzehnte hinweg zu einer scheinbar unumstößlichen Gesundheitsregel wurde – sogar Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) griffen sie auf. Der Erfolg des 10.000-Schritte-Ziels zeigt, wie sehr wir Menschen klare, messbare Vorgaben schätzen. „Sei aktiver“ bleibt eine vage Empfehlung, während „10.000 Schritte am Tag“ ein konkretes, motivierendes Ziel bietet. Das Problem war also nie das Prinzip eines Schrittziels an sich, sondern die Beliebigkeit der Zahl.
Und genau hier stellt sich die entscheidende Frage: Wenn 10.000 Schritte nur ein cleverer Werbeslogan waren, was sagt die Wissenschaft wirklich darüber, wie viele Schritte wir täglich gehen sollten, um gesund zu bleiben?
Neue Studie stellt die 10.000-Schritte-Regel infrage
Nach Jahrzehnten, in denen die 10.000-Schritte-Regel unangefochten blieb, liefert die moderne Forschung nun endlich eine fundierte Antwort. Eine umfassende Studie, veröffentlicht im renommierten Fachjournal The Lancet Public Health unter dem Titel „Daily steps and health outcomes in adults: a systematic review and dose-response meta-analysis„, bietet eine evidenzbasierte Orientierung, die das Gehen in einem neuen Licht erscheinen lässt.2Ding, D., Nguyen, B., Nau, T., Luo, M., del Pozo Cruz, B., Dempsey, P. C., et al. (2025). Daily steps and health outcomes in adults: A systematic review and dose–response meta-analysis. The Lancet Public Health, 10(8), e668–e681. https://doi.org/10.1016/S2468-2667(25)00123-4.
Unter der Leitung von Dr. Ding Ding hat ein internationales Forscherteam eine der bislang größten und umfassendsten Analysen zu diesem Thema durchgeführt. Es handelt sich dabei nicht um eine einzelne Studie, sondern um eine sog. Meta-Analyse – also eine Auswertung bereits veröffentlichter Forschungsergebnisse. Insgesamt wurden die Daten von 57 hochwertigen Studien aus 35 verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Kohorten) zusammengeführt und neu analysiert.
Anstatt sich, wie viele frühere Untersuchungen, nur auf einzelne Gesundheitsaspekte zu konzentrieren, betrachteten die Forschenden den Zusammenhang zwischen der täglichen Schrittzahl und gleich acht zentralen Gesundheitsfaktoren: Gesamtsterblichkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Typ-2-Diabetes, Demenz, depressive Symptome, körperliche Funktionsfähigkeit und Stürze. Diese außergewöhnliche Breite macht die Arbeit zu einem echten Meilenstein – sie verschiebt den Fokus von der einfachen Frage „Verhindert Gehen einen frühen Tod?“ hin zu einem ganzheitlichen Verständnis, wie regelmäßiges Gehen Körper und Geist schützt.
Was ist eigentlich eine Meta-Analyse?
Eine Meta-Analyse ist ein besonders aussagekräftiges wissenschaftliches Verfahren, das auch als „Studie der Studien“ bezeichnet wird. Dabei werden keine neuen Daten erhoben, sondern die Ergebnisse zahlreicher unabhängiger Studien mit derselben Fragestellung zusammengefasst und statistisch ausgewertet.
Durch das sog. Pooling entsteht ein deutlich größerer Datensatz. Dadurch erhöht sich die statistische Aussagekraft und es ist möglich, wesentlich präzisere und verlässlichere Ergebnisse zu erhalten, als es eine einzelne Studie je könnte.
Warum 7.000 Schritte den Unterschied machen
Die zentrale und vielleicht wichtigste Erkenntnis der Meta-Analyse von Ding et al. ist ebenso klar wie motivierend: Während 10.000 Schritte pro Tag für sehr aktive Menschen weiterhin ein hervorragendes Ziel sind, liegt der eigentliche „Sweet Spot“ für die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung etwas darunter. Die Studie identifiziert 7.000 Schritte pro Tag als Ziel, das mit „klinisch bedeutsamen Verbesserungen der Gesundheitsergebnisse” verbunden ist und gleichzeitig für viele Menschen realistischer und erreichbarer erscheint.
Diese Zahl ist nicht willkürlich gewählt, sondern das Ergebnis einer sorgfältigen Auswertung der Daten von Zehntausenden Teilnehmenden über viele Jahre hinweg. Die Forschenden fanden heraus, dass der größte Gesundheitsgewinn eintritt, wenn man sich von einem sehr inaktiven Lebensstil (Referenzwert: etwa 2.000 Schritte pro Tag) zu einem moderat aktiven Lebensstil bewegt.
Die positiven Effekte sind beeindruckend und betreffen nahezu jeden Bereich unserer Gesundheit. Die folgende Tabelle fasst die zentralen Ergebnisse zusammen und zeigt, wie stark das Risiko für verschiedene chronische Erkrankungen sinkt, wenn das tägliche Schrittpensum von 2.000 auf 7.000 Schritte erhöht wird.
Dein Gesundheitsbonus bei 7.000 Schritten
Vergleichsbasis: 2.000 Schritte pro Tag (entspricht einem sehr inaktiven Lebensstil)
| Gesundheits-Outcome | Risikoreduktion |
| Gesamtsterblichkeit (Tod aus jeglicher Ursache) | 47 % geringeres Risiko |
| Herz-Kreislauf-Mortalität (Tod durch Herzerkrankung) | 47 % geringeres Risiko |
| Demenz | 38% geringeres Risiko |
| Krebssterblichkeit (Tod durch Krebserkrankung) | 37% geringeres Risiko |
| Stürze (bei älteren Erwachsenen) | 28 % geringeres Risiko |
| Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt) | 25% geringeres Risiko |
| Depressive Symptome | 22 % geringeres Risiko |
| Typ-2-Diabetes | 14 % geringeres Risiko |
| Krebs-Neuerkrankungen | 6 % geringeres Risiko (statistisch nicht signifikant) |
Diese Ergebnisse haben eine klare Botschaft: Man muss kein Marathonläufer sein, um seine Gesundheit spürbar zu verbessern. Schon der Wechsel von einem überwiegend sitzenden zu einem aktiven Lebensstil, bei dem man die Schrittzahl von etwa 2.000 auf 7.000 erhöht, bringt den größten gesundheitlichen „Return on Investment“. Diese Erkenntnis macht Gesundheitsförderung für jede und jeden greifbar und erreichbar.
Warum mehr nicht immer besser ist: Die Dosis-Wirkungs-Beziehung
Um die Ergebnisse der Studie richtig einzuordnen, ist ein grundlegendes wissenschaftliches Prinzip hilfreich: die Dosis-Wirkungs-Beziehung. Sie beschreibt, wie die „Dosis“ einer Substanz oder Aktivität – in diesem Fall die Anzahl der täglichen Schritte – die „Wirkung“, also den gesundheitlichen Nutzen, beeinflusst.
Die Meta-Analyse von Ding et al. zeigt, dass diese Beziehung bei verschiedenen Krankheiten unterschiedlich ausfällt. Die Forschenden identifizierten zwei unterschiedliche Muster.
1. Die nicht-lineare Kurve – abnehmender Zusatznutzen
Für die Gesamtsterblichkeit, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Stürze fanden die Forschenden eine nicht-lineare Beziehung. Das bedeutet, dass der gesundheitliche Nutzen anfangs stark ansteigt, bei einer höheren Schrittzahl jedoch allmählich abflacht.
Der entscheidende Wendepunkt, der sog. Inflektionspunkt, liegt im Bereich von etwa 5.000 bis 7.000 Schritten pro Tag. Genau hier zeigt sich, warum 7.000 Schritte ein so effizientes und effektives Ziel sind. In diesem Bereich entsteht der größte Zugewinn an Gesundheit.
2. Die lineare Kurve – stetiger Zusatznutzen
Bei anderen Gesundheitsaspekten wie der Herz-Kreislauf- oder Krebssterblichkeit, dem Risiko für Typ-2-Diabetes oder depressiven Symptomen zeigte sich hingegen eine lineare Beziehung. Hier gilt: Jeder zusätzliche Schritt zählt. Der Nutzen steigt kontinuierlich an, ohne dass sich ein deutliches Plateau zeigt.
Was bedeutet das für den Alltag?
Etwa 7.000 Schritte pro Tag sind ein hervorragendes Basisziel, da sie den größten Teil des gesundheitlichen Schutzes vor vielen der häufigsten Erkrankungen liefern.
Doch auch darüber hinaus gilt: Mehr Bewegung schadet nicht. Zwar flacht der Zugewinn bei manchen Effekten ab, aber selbst wer 10.000 Schritte täglich erreicht, profitiert weiter: Das Risiko für die Gesamtsterblichkeit ist beispielsweise um rund 10 % niedriger als bei Personen, die 7.000 Schritte gehen.
Bei Krankheiten mit einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung, wie etwa der Krebssterblichkeit, kann es sich also besonders lohnen, noch etwas weiterzugehen. Jeder Schritt zählt – und zwar buchstäblich.
Ein Ziel für jedes Alter? Was die Studie zeigt

Eine entscheidende Frage ist, ob ein einziges Schrittziel für alle Altersgruppen gleichermaßen gilt. Zwar betonen die Autoren der Studie, dass eine umfassende altersspezifische Analyse eine Limitation ihrer Arbeit darstellt, ihre Untergruppenanalysen liefern jedoch spannende Einblicke und zeigen deutliche Unterschiede zwischen jüngeren Erwachsenen (unter 65 Jahren) und älteren Erwachsenen (65 Jahre und älter).
Erkenntnis 1: Gesamtsterblichkeit
Hier zeigte sich der deutlichste Unterschied. Bei jüngeren Erwachsenen verlief die Beziehung nicht-linear mit einem Wendepunkt bei etwa 5.400 Schritten pro Tag. Bei älteren Erwachsenen war die Beziehung hingegen linear, was besonders ermutigend ist.
Eine lineare Kurve bedeutet, dass es für Senioren keinen Punkt gibt, ab dem der Nutzen nachlässt. Jeder zusätzliche Schritt senkt das Sterberisiko weiterhin messbar. Diese datengestützte Botschaft widerlegt die weitverbreitete Annahme, Bewegung im Alter habe nur eine begrenzte Wirkung. Im Gegenteil: Es ist nie zu spät, anzufangen. Für ältere Menschen zählt jeder Schritt, und zwar bis ins hohe Alter.
Erkenntnis 2: Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Beim Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen war die Beziehung für beide Altersgruppen nicht-linear, allerdings mit unterschiedlichen Wendepunkten.
Während die Kurve bei jüngeren Erwachsenen erst bei rund 7.800 Schritten abflachte, war dies bei älteren bereits bei etwa 5.400 Schritten der Fall.
Das lässt sich gut erklären: Jüngere Menschen haben von Natur aus ein geringeres Grundrisiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Um dieses ohnehin niedrige Risiko weiter zu senken, ist eine höhere „Dosis“ an Bewegung erforderlich. Ältere Erwachsene hingegen profitieren schon von kleineren Zuwächsen deutlich, da ihr Grundrisiko höher ist und bereits weniger Schritte einen spürbaren Unterschied machen.
Die Botschaft ist also klar und altersgerecht: Für Jüngere geht es darum, durch regelmäßige Bewegung eine starke kardiovaskuläre Reserve für ein langes, gesundes Leben aufzubauen. Für Ältere zählt dagegen jeder Schritt als unmittelbarer Schutz: Jeder Gang um den Block ist ein Beitrag zu mehr Lebenszeit und Lebensqualität.
Mehr Bewegung im Alltag: 15 einfache Wege zu mehr Schritten
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig, doch wie lässt sich dieses Wissen im Alltag umsetzen? Der Schlüssel liegt nicht darin, das Leben komplett umzukrempeln, sondern Bewegung klug in bestehende Routinen einzubauen.
Die Wissenschaft hat dafür sogar einen Begriff: NEAT (Non-Exercise Activity Thermogenesis). Damit ist die Energie gemeint, die wir durch alltägliche Aktivitäten verbrauchen, die kein gezieltes Training sind – also genau die Bewegungen, die sich mühelos in den Tag integrieren lassen.
Hier sind 15 praxiserprobte Tipps, um dein tägliches NEAT – und damit deine Schrittzahl – ganz nebenbei zu erhöhen.
Die kleinen Gewohnheiten
- Nimm die Treppe: Verzichte konsequent auf Aufzüge und Rolltreppen. Das ist eine der effektivsten Methoden, um Schritte zu sammeln und die Beinmuskulatur zu stärken. Bereits 400 Stufen pro Tag entsprechen etwa 15 Minuten Joggen.
- Parke strategisch: Wähle bewusst einen Parkplatz, der etwas weiter entfernt ist. Diese zusätzlichen Meter summieren sich schnell.
- Steige eine Haltestelle früher aus: Geh den Rest des Weges zu Fuß – so bringst du Bewegung in deinen Alltag, ohne extra Zeit einplanen zu müssen.
- Gehe beim Telefonieren: Führe Gespräche im Gehen, z. B. im Büroflur, zu Hause oder beim Spaziergang. So sammelst du Hunderte Schritte, ohne es zu merken.
Bewegung im Arbeitsalltag
- Plane Walking Meetings: Schlage vor, Besprechungen im Gehen abzuhalten. Bewegung fördert die Kreativität und hält wach.
- Nutze deine Pausen: Anstatt die Mittagspause am Schreibtisch zu verbringen, gehe eine Runde um den Block.
- Stell dir einen Bewegungs-Wecker: Zum Beispiel mit der Pomodoro-Methode (25 Minuten arbeiten, 5 Minuten Pause). Kurze Bewegungspausen wirken Wunder.
Freizeit aktiv gestalten
- Verabrede dich zum Spazier-Date: Triff dich mit Freunden beim Spazierengehen statt im Café. Gespräche werden dabei oft sogar lebhafter.
- Erkunde deine Nachbarschaft: Mache es dir zur Gewohnheit, neue Wege oder Parks zu entdecken. Kleine Entdeckungstouren halten aktiv.
- Mach Haus- und Gartenarbeit zu deinem Workout: Putzen, Staubsaugen oder Rasenmähen sind unterschätzte Bewegungseinheiten.
- Starte mit einem Morgenspaziergang: Er bringt Kreislauf und Stoffwechsel in Schwung und sorgt dafür, dass du gleich die ersten Schritte des Tages absolviert hast.
- Geh nach dem Essen spazieren: Ein Verdauungsspaziergang hilft, den Blutzuckerspiegel zu regulieren und dein Schrittekonto zu füllen.
Motivation und Dranbleiben
- Miss deinen Erfolg: Ein Schrittzähler oder eine App hilft dabei, Fortschritte sichtbar zu machen und am Ball zu bleiben.
- Suche dir Verbündete: Eine gemeinsame Challenge mit Freunden oder Kollegen sorgt für Motivation und Spaß.
- Erstelle eine Power-Playlist: Gute Musik hebt die Stimmung und lässt dich automatisch schneller und länger gehen.
Fazit: Jeder Schritt zählt
Die wissenschaftliche Evidenz zeichnet ein klares Bild: Die starre Fixierung auf 10.000 Schritte pro Tag ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der das Marketing lauter war als die Forschung. Die aktuelle Datenlage zeigt einen intelligenteren und für viele Menschen erreichbaren Weg zu besserer Gesundheit.
Etwa 7.000 Schritte pro Tag gelten heute als der wissenschaftlich fundierte „Sweet Spot“, also das Bewegungsniveau, bei dem das Risiko für zahlreiche chronische Erkrankungen deutlich sinkt.
Die vielleicht wichtigste Botschaft dieser Forschung ist jedoch noch einfacher und ermutigender: Jeder Schritt zählt. Die größten gesundheitlichen Fortschritte erzielen diejenigen, die bislang am wenigsten aktiv waren. Schon eine Steigerung von 2.000 auf 4.000 Schritte täglich kann das Risiko einer vorzeitigen Sterblichkeit um rund 36 % reduzieren.
Es geht also nicht darum, sofort eine perfekte Zahl zu erreichen. Entscheidend ist der Fortschritt – nicht die Perfektion. Finde heraus, wo du heute stehst, und setze dir das Ziel, jeden Tag ein paar Schritte mehr zu gehen. Der Weg zu einem längeren, gesünderen und vitaleren Leben ist kein Marathon, sondern ein ganz normaler Spaziergang. Und er beginnt – wie immer – mit dem ersten Schritt.





