Wenn von Übergewicht die Rede ist, denken viele zuerst an ästhetische Fragen oder allgemeine Gesundheitsrisiken wie Diabetes oder Herzprobleme. Weniger bekannt, aber keineswegs weniger ernst, ist das Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) – eine chronische Atemstörung, die direkt mit starkem Übergewicht zusammenhängt.
Trotz seiner zunehmenden Verbreitung bleibt OHS oft unerkannt, wird unterschätzt oder mit anderen Erkrankungen wie der obstruktiven Schlafapnoe verwechselt. Doch hinter den scheinbar harmlosen Symptomen wie ständiger Müdigkeit oder lautem Schnarchen verbirgt sich eine Erkrankung, die langfristig gravierende Folgen für Herz, Lunge und Lebensqualität hat – und sogar lebensbedrohlich sein kann, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird.
In diesem Artikel beleuchten wir das Obesitas-Hypoventilationssyndrom genauer. Du erfährst, was OHS genau ist, wie es entsteht, welche Symptome es mit sich bringt und worin die Unterschiede zur weit verbreiteten Schlafapnoe liegen. Außerdem zeigen wir, warum es so wichtig ist, die Erkrankung frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, und beantworten die zentrale Frage: Ist das Obesitas-Hypoventilationssyndrom harmlos oder gefährlich?
Los geht es zunächst mit den grundlegenden Fakten und der Frage, warum starkes Übergewicht die Atmung überhaupt beeinflusst.
Grundlagen des Obesitas-Hypoventilationssyndroms (OHS)
Viele Menschen mit starkem Übergewicht leiden unbemerkt unter chronischen Atemproblemen. Beim Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) führen verschiedene Faktoren zu einer dauerhaft verminderten Atmung. Doch was genau bedeutet OHS, und warum beeinflusst Übergewicht überhaupt unsere Atmung?
Was ist das Obesitas-Hypoventilationssyndrom?
Das OHS beschreibt die Kombination aus starkem Übergewicht (Adipositas, Body-Mass-Index [BMI] ≥ 30 kg/m²) und einer chronischen Unterbelüftung der Lunge (alveoläre Hypoventilation), die zu dauerhaft erhöhten Kohlendioxidwerten im Blut (Tages-Kohlendioxidpartialdruck [PaCO₂] ≥ 45 mmHg) führt. Voraussetzung ist, dass andere Ursachen für eine solche chronische Hyperkapnie, wie eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), neuromuskuläre Erkrankungen oder Erkrankungen des Brustkorbs ausgeschlossen wurden.1Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. (2024). S3-Leitlinie Nichtinvasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. Abgerufen am 20.03.2025 von https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-008.
Dieses Krankheitsbild wurde früher auch als Pickwick-Syndrom bezeichnet. Durch die weltweit zunehmende Zahl adipöser Menschen steigt auch die Häufigkeit von OHS stetig an. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 8–20 % aller adipösen Personen die Kriterien für ein OHS erfüllen. In der Gesamtbevölkerung liegt die Prävalenz bei ca. 0,3–0,4 %2Brock J. (2021). Warum es sich auch in der Pneumologie lohnt, aufs Gewicht zu achten. Pneumo news, 13(1), 28–34. https://doi.org/10.1007/s15033-021-2677-0. 3Maarouf, A., & Nilius, G. (2017). Obesitas-Hypoventilationssyndrom. Schlaf, 6(3), 126–131. https://doi.org/10.1055/s-0038-1626177.. Besonders häufig ist OHS bei Patienten mit ausgeprägter Adipositas und gleichzeitig bestehendem Schlafapnoe-Syndrom (OSA) – hier liegt die Häufigkeit sogar bei über 30 %4Mokhlesi B. (2010). Obesity hypoventilation syndrome: a state-of-the-art review. Respiratory care, 55(10), 1347–1365..
Wie entsteht das OHS?
Die Ursachen des OHS sind komplex und hängen eng mit der erhöhten Fettmasse zusammen, die auf die Atmung drückt. Einerseits schränkt überschüssiges Körperfett die Atembewegungen mechanisch ein: Das Zwerchfell kann sich durch Bauchfett nicht ausreichend bewegen, die Beweglichkeit des Brustkorbs nimmt ab und die funktionelle Residualkapazität (die Luftmenge, die nach normaler Ausatmung in der Lunge verbleibt) ist vermindert5Al Dabal, L., & Bahammam, A. S. (2009). Obesity hypoventilation syndrome. Annals of thoracic medicine, 4(2), 41–49. https://doi.org/10.4103/1817-1737.49411.. Diese Einschränkungen führen dazu, dass die Betroffenen insbesondere im Liegen und während des Schlafs nur flache Atemzüge machen und dadurch dauerhaft zu wenig Kohlendioxid (CO₂) abatmen (Hypoventilation).
Störung des zentralen Atemantriebs
Zusätzlich zu den mechanischen Problemen liegt beim OHS eine Störung der zentralen Atemregulation im Gehirn vor: Durch die chronisch erhöhten CO₂-Werte gewöhnt sich das Atemzentrum im Gehirn an einen höheren CO₂-Spiegel (Sollwertverstellung) und reduziert dadurch langfristig den Atemantrieb. Außerdem spielt möglicherweise eine sogenannte Leptinresistenz eine Rolle. Obwohl adipöse Menschen hohe Leptinspiegel aufweisen, reagiert das Atemzentrum nicht mehr angemessen auf diesen Botenstoff, der eigentlich die Atmung stimulieren sollte6Amorim, M. R., Aung, O., Mokhlesi, B., & Polotsky, V. Y. (2022). Leptin-mediated neural targets in obesity hypoventilation syndrome. Sleep, 45(9), zsac153. https://doi.org/10.1093/sleep/zsac153..
Nächtliche Atemstörungen und obstruktive Apnoen
Darüber hinaus treten bei Patienten mit OHS praktisch immer nächtliche Atemstörungen auf. Besonders häufig sind dabei obstruktive Apnoen, also Atemaussetzer durch Verschluss der oberen Atemwege. Normalerweise reagieren Betroffene mit einer Hyperventilation, um das überschüssige CO₂ nach einer Apnoe auszuatmen. Bei OHS-Patienten funktioniert dieser Mechanismus jedoch nicht ausreichend, sodass CO₂ sich zunehmend im Blut ansammelt.
Das OHS entsteht durch eine Kombination aus mechanischer Atemeinschränkung durch Übergewicht, einer Störung des zentralen Atemantriebs sowie nächtlichen Atemproblemen.
Formen des OHS: Mit und ohne Schlafapnoe
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) tritt nicht immer gleich auf. Medizinisch werden zwei Hauptformen unterschieden: das seltenere reine OHS und das weitaus häufigere OHS mit zusätzlicher obstruktiver Schlafapnoe (OHS-OSA).
Reines OHS
Beim reinen OHS liegt eine chronische alveoläre Hypoventilation durch Übergewicht vor, ohne dass relevante nächtliche Atemaussetzer (obstruktive Schlafapnoe, OSA) auftreten. In der nächtlichen Untersuchung (Polysomnographie) zeigt sich daher kein oder nur ein minimaler Anstieg des Apnoe-Hypopnoe-Indexes (AHI < 5/h)7BaHammam A. S. (2015). Prevalence, clinical characteristics, and predictors of obesity hypoventilation syndrome in a large sample of Saudi patients with obstructive sleep apnea. Saudi medical journal, 36(2), 181–189. https://doi.org/10.15537/smj.2015.2.9991.. Die nächtliche Atmung ist hier v. a. durch eine dauerhafte, flache Atmung (Hypoventilation) gekennzeichnet. Häufige Ursachen für ein reines OHS sind eine stark ausgeprägte Störung der zentralen Atemregulation oder extremes Übergewicht, welches mechanisch die Atmung einschränkt.
OHS mit OSA
Die Mehrheit der OHS-Betroffenen (ca. 90 %) leidet unter einer Kombination aus adipositasbedingter Hypoventilation und obstruktiver Schlafapnoe (OSA)8Raveendran, R., Wong, J., Singh, M., Wong, D. T., & Chung, F. (2017). Obesity hypoventilation syndrome, sleep apnea, overlap syndrome: perioperative management to prevent complications. Current opinion in anaesthesiology, 30(1), 146–155. https://doi.org/10.1097/ACO.0000000000000421.. Neben der adipositasbedingten Hypoventilation treten bei ihnen typische nächtliche Atempausen durch das Verschließen der oberen Atemwege auf (AHI ≥ 5, häufig sogar ≥ 30)9Ghimire P, Sankari A, Antoine MH, et al. Obesity-Hypoventilation Syndrome. [Updated 2024 Feb 3]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2025 Jan-. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK542216/.. Charakteristisch sind lautes Schnarchen und wiederkehrende Atemaussetzer, die zusätzlich zu starken Schwankungen des Sauerstoff- und Kohlendioxidspiegels im Blut führen.
Früher hielt man das OHS häufig für eine besonders schwere Form der Schlafapnoe. Heute ist jedoch bekannt, dass der entscheidende Unterschied zur alleinigen OSA die chronische Hyperkapnie ist, also dauerhaft erhöhte CO₂-Werte im Blut. Ein Patient mit schwerer Schlafapnoe, aber normalen CO₂-Werten am Tag, erfüllt daher nicht die Kriterien für OHS. Erst wenn die nächtlichen Atemstörungen so ausgeprägt sind, dass dauerhaft hohe Kohlendioxidwerte entstehen, liegt ein OHS vor.
Patienten mit der Kombination aus OHS und OSA haben insgesamt ein erhöhtes Risiko: Sie leiden häufiger unter Begleiterkrankungen, benötigen öfter medizinische Betreuung und haben insgesamt eine schlechtere Prognose als Patienten, die „nur“ an einer Schlafapnoe leiden.
OHS und Schlafapnoe (OSA) – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) und die obstruktive Schlafapnoe (OSA) hängen eng miteinander zusammen – trotzdem sind es zwei unterschiedliche Krankheitsbilder. Da sie ähnliche Symptome verursachen, wird das OHS oft erst spät oder gar nicht erkannt. Dennoch ist es wichtig, zwischen beiden Erkrankungen klar zu unterscheiden.
Überlappungen zwischen OHS und OSA
Beide Erkrankungen treten bevorzugt bei adipösen Menschen auf und äußern sich insbesondere durch nächtliche Atemstörungen. Sowohl beim OHS als auch bei der OSA leiden Patienten unter lautem Schnarchen, nächtlichen Atempausen (Apnoen), Sauerstoffmangel und ausgeprägter Tagesschläfrigkeit. Diese ähnlichen Symptome erschweren oft eine eindeutige Diagnose.
Besonders deutlich wird diese Überlappung bei Patienten, die gleichzeitig beide Syndrome aufweisen (OHS-OSA). Epidemiologisch betrachtet ist die reine OSA jedoch wesentlich häufiger: Sie betrifft etwa 10–40 % der Erwachsenen10Senaratna, C. V., Perret, J. L., Lodge, C. J., Lowe, A. J., Campbell, B. E., Matheson, M. C., Hamilton, G. S., & Dharmage, S. C. (2017). Prevalence of obstructive sleep apnea in the general population: A systematic review. Sleep medicine reviews, 34, 70–81. https://doi.org/10.1016/j.smrv.2016.07.002., während OHS deutlich seltener ist (etwa 0,4 % der Bevölkerung)11Masa, J. F., Pépin, J. L., Borel, J. C., Mokhlesi, B., Murphy, P. B., & Sánchez-Quiroga, M. Á. (2019). Obesity hypoventilation syndrome. European respiratory review : an official journal of the European Respiratory Society, 28(151), 180097. https://doi.org/10.1183/16000617.0097-2018.. Allerdings erfüllt rund jeder fünfte adipöse Patient mit schwerer OSA (10–30 %) zusätzlich die Kriterien eines OHS12Amorim, M. R., Aung, O., Mokhlesi, B., & Polotsky, V. Y. (2022). Leptin-mediated neural targets in obesity hypoventilation syndrome. Sleep, 45(9), zsac153. https://doi.org/10.1093/sleep/zsac153. 13Liu, C., Chen, M. S., & Yu, H. (2017). The relationship between obstructive sleep apnea and obesity hypoventilation syndrome: a systematic review and meta-analysis. Oncotarget, 8(54), 93168–93178. https://doi.org/10.18632/oncotarget.21450. 14Chau, E. H., Lam, D., Wong, J., Mokhlesi, B., & Chung, F. (2012). Obesity hypoventilation syndrome: a review of epidemiology, pathophysiology, and perioperative considerations. Anesthesiology, 117(1), 188–205. https://doi.org/10.1097/ALN.0b013e31825add60.. Dieser Anteil steigt bei extremer Adipositas (BMI > 40) noch weiter an.
Ein großes Problem in der Praxis ist, dass das OHS häufig übersehen oder falsch diagnostiziert wird. Laut Studien wird nur bei etwa 30 % der betroffenen Patienten die richtige Diagnose gestellt – oft werden die Symptome fälschlich Erkrankungen wie COPD oder Asthma zugeschrieben15Msaad, S., Gargouri, R., Kotti, A., Kallel, N., Saidane, A., Jmel, Y., Ketata, W., Moussa, N., Bahloul, A., Kammoun, S., & Jdidi, J. (2022). Characteristics of Obese Patients with Acute Hypercapnia Respiratory Failure Admitted in the Department of Pneumology: An Observational Study of a North African Population. Sleep disorders, 2022, 5398460. https://doi.org/10.1155/2022/5398460.. Daher ist es entscheidend, adipöse Patienten mit OSA systematisch auf Zeichen eines OHS zu untersuchen.
Worin unterscheiden sich OHS und OSA?
Der entscheidende Unterschied zwischen OHS und OSA liegt in der chronischen Hyperkapnie, also dauerhaft erhöhten Kohlendioxidwerten (CO₂) beim OHS. Patienten mit reiner OSA zeigen zwar während der Nacht gelegentliche Anstiege des CO₂-Werts, doch diese normalisieren sich tagsüber wieder. Beim OHS dagegen bleibt der CO₂-Wert auch tagsüber dauerhaft erhöht (PaCO₂ ≥ 45 mmHg). Oft kommt es hierbei zu einer metabolischen Anpassung, erkennbar an erhöhten Bicarbonatwerten im Blut.
Dieser Unterschied hat weitreichende Folgen: OHS-Patienten leiden aufgrund der ständigen Hypoventilation unter einem höheren Risiko für Komplikationen. Insbesondere die chronische CO₂-Erhöhung führt zu einem dauerhaften erhöhten Druck in den Lungengefäßen (pulmonale Hypertonie) und belastet langfristig das rechte Herz (Cor pulmonale). Solche schweren Komplikationen sind bei Patienten mit reiner OSA selten oder verlaufen wesentlich milder.
Studien zeigen eindeutig, dass Menschen mit OHS häufiger Begleiterkrankungen entwickeln, häufiger ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen und insgesamt eine schlechtere Prognose haben als Patienten mit alleiniger OSA16Lacedonia, D., Carpagnano, G. E., Patricelli, G., Carone, M., Gallo, C., Caccavo, I., Sabato, R., Depalo, A., Aliani, M., Capozzolo, A., & Foschino Barbaro, M. P. (2018). Prevalence of comorbidities in patients with obstructive sleep apnea syndrome, overlap syndrome and obesity hypoventilation syndrome. The clinical respiratory journal, 12(5), 1905–1911. https://doi.org/10.1111/crj.12754. 17Shetty, S., & Parthasarathy, S. (2015). Obesity Hypoventilation Syndrome. Current pulmonology reports, 4(1), 42–55. https://doi.org/10.1007/s13665-015-0108-6. 18Ojeda Castillejo, E., de Lucas Ramos, P., López Martin, S., Resano Barrios, P., Rodríguez Rodríguez, P., Morán Caicedo, L., Bellón Cano, J. M., & Rodriguez Gonzalez-Moro, J. M. (2015). Noninvasive mechanical ventilation in patients with obesity hypoventilation syndrome. Long-term outcome and prognostic factors. Archivos de bronconeumologia, 51(2), 61–68. https://doi.org/10.1016/j.arbres.2014.02.015.. In der Praxis sollten Ärzte deshalb bei jedem adipösen Patienten mit OSA (BMI ≥ 30) sorgfältig prüfen, ob zusätzlich ein OHS vorliegt. Dies geschieht vor allem durch Messung der Blutgaswerte (PaCO₂ und Bicarbonat) am Morgen.
Fast jedes OHS geht mit einer Schlafapnoe einher, aber nicht jede Schlafapnoe bedeutet automatisch, dass auch ein OHS vorliegt. Diese Unterscheidung ist wichtig für die richtige Therapieentscheidung und die langfristige Prognose.
Hypoventilation vs. Hyperventilation – Was ist der Unterschied?
Im Zusammenhang mit dem Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) fällt häufig der Begriff „Hypoventilation“. Doch was genau bedeutet eigentlich Hypoventilation, und worin besteht der Unterschied zur häufig erwähnten Hyperventilation? Diese Unterscheidung hilft dabei, besser zu verstehen, warum das OHS ernsthafte gesundheitliche Folgen haben kann.
Hypoventilation (krankhaft verlangsamte Atmung)
Hypoventilation bezeichnet eine unzureichende Belüftung der Lungen im Verhältnis zum Sauerstoff- und Kohlendioxidbedarf des Körpers. Bei Hypoventilation ist die Atmung zu flach oder zu langsam, wodurch der Gasaustausch in der Lunge gestört wird. Als Folge steigt der Kohlendioxidgehalt im Blut (Hyperkapnie) an und gleichzeitig sinkt der Sauerstoffpartialdruck. Dadurch entsteht eine sogenannte respiratorische Azidose, also eine Übersäuerung des Blutes.
Hypoventilation hat große klinische Bedeutung: Während akute Hypoventilation, z.B. durch Atemstillstand, unmittelbar lebensbedrohlich ist, führt die chronische Form – wie beim OHS – über längere Zeit zu Schäden an verschiedenen Organen. Verantwortlich dafür sind dauerhaft erhöhte CO₂-Werte und chronischer Sauerstoffmangel im Gewebe.
Hypoventilation (zu schnelle Atmung)
Hyperventilation ist das Gegenteil der Hypoventilation. Hierbei kommt es zu einer übermäßigen Belüftung der Lungen – also einer zu schnellen oder zu tiefen Atmung. Das führt zu einem starken Abfall des CO₂-Gehalts im Blut und somit zu einer respiratorischen Alkalose (Erhöhung des pH-Werts im Blut). Typisch tritt Hyperventilation akut bei Angstzuständen, Stress oder starken Schmerzen auf. Symptome können Schwindel, Benommenheit, Kribbeln in Händen und Füßen sowie kurzzeitige Bewusstseinsstörungen sein. Chronische Hyperventilation dagegen ist eher selten und tritt oft im Rahmen psychischer Störungen (psychogenes Hyperventilationssyndrom) auf.
Beim Obesitas-Hypoventilationssyndrom liegt ausdrücklich eine Hypoventilation vor – Patienten atmen also zu flach oder zu langsam. Hyperventilation spielt beim OHS keine Rolle. Im Gegenteil: OHS-Patienten leiden typischerweise unter einem verminderten Atemantrieb, was ihre Symptome und den Krankheitsverlauf zusätzlich verschlechtern kann.
Symptome des OHS: Frühe Anzeichen und Spätfolgen
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom entwickelt sich meistens schleichend und bleibt daher oft lange unerkannt. Frühe Symptome wirken zunächst unspezifisch, doch ohne Behandlung kommen im Verlauf immer schwerwiegendere gesundheitliche Probleme hinzu.
Frühe Symptome – Müdigkeit, Schnarchen und Atemprobleme
Zu Beginn zeigen sich bei OHS häufig unspezifische Symptome wie starke Tagesmüdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme sowie morgendliche Kopfschmerzen. Diese Beschwerden entstehen durch einen nicht erholsamen Schlaf sowie nächtliche Atemstörungen mit chronischer Ansammlung von Kohlendioxid (CO₂).
Besonders typisch für OHS-Patienten mit Schlafapnoe (OHS-OSA) sind lautes Schnarchen und Atempausen während des Schlafs, die meist vom Bettpartner bemerkt werden. Durch häufiges nächtliches Erwachen (Schlaffragmentierung) und Sauerstoffmangel im Schlaf fühlen sich Betroffene tagsüber extrem müde, schläfrig und antriebslos. Nicht selten treten auch Stimmungsschwankungen, depressive Verstimmungen oder Reizbarkeit auf, die mit dem chronischen Schlafdefizit und den Atemstörungen zusammenhängen.
Zusätzlich leiden viele Betroffene unter Kurzatmigkeit (Dyspnoe), zunächst nur bei körperlicher Belastung. Doch bereits einfache Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen können zur Herausforderung werden, weil das Atmungssystem durch das starke Übergewicht an seine Grenzen gerät. Da diese Symptome oft dem Übergewicht oder einer vermeintlich „harmlosen“ Schlafstörung zugeschrieben werden, verzögert sich die Diagnose des OHS häufig erheblich.
Späte Symptome – Chronische Organschäden und schwerwiegende Folgen
Bleibt das OHS über längere Zeit unbehandelt, schreitet die Erkrankung fort und führt zu ernsthaften Organschäden. Durch den chronischen Sauerstoffmangel (Hypoxie) reagiert der Körper oft mit einer Polyglobulie, also einer erhöhten Bildung roter Blutkörperchen. Diese Anpassung zeigt sich in einem erhöhten Hämatokritwert.
Im weiteren Verlauf entwickelt sich typischerweise eine Rechtsherzbelastung (Cor pulmonale) aufgrund des dauerhaft erhöhten Drucks im Lungenkreislauf. Klinisch äußert sich das häufig durch geschwollene Beine (periphere Ödeme), gestaut sichtbare Halsvenen und möglicherweise eine vergrößerte Leber.
Die Atemprobleme in der Nacht verschlechtern sich meist noch weiter. Viele Betroffene leiden unter Ein- und Durchschlafstörungen und wachen nachts mit panischer Luftnot auf. In sehr schweren Fällen kommt es sogar zu einer chronischen Ateminsuffizienz mit einer sogenannten CO₂-Narkose – hierbei sind die Betroffenen morgens verwirrt, benommen oder schläfrig, weil sich extrem hohe CO₂-Werte im Blut ansammeln. Unter diesen Bedingungen genügen oft bereits kleinere Auslöser wie Infekte, um eine akute Atemkrise auszulösen, die dann intensivmedizinisch behandelt werden muss.
All diese Folgen reduzieren die Lebensqualität enorm: Aktivitäten des täglichen Lebens werden zunehmend zur Belastung, was oft zu sozialer Isolation und massiven Einschränkungen im Alltag führt.
Diagnostik des OHS: Wie wird die Erkrankung festgestellt?
Um das Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) sicher diagnostizieren zu können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: starkes Übergewicht (Adipositas) und dauerhaft erhöhte Kohlendioxidwerte im Blut (chronische Hyperkapnie). Zusätzlich ist es wichtig, andere Ursachen für die eingeschränkte Atmung sorgfältig auszuschließen. Die Diagnose erfordert daher verschiedene Untersuchungen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Arterielle Blutgasanalyse (BGA)
Die arterielle Blutgasanalyse ist die wichtigste Untersuchung zur Feststellung eines OHS. Dabei wird überprüft, ob im Blut dauerhaft zu viel Kohlendioxid (PaCO₂ über 45 mmHg) vorhanden ist. Zusätzlich wird häufig ein zu niedriger Sauerstoffgehalt im Blut festgestellt (respiratorische Insuffizienz Typ II).
Ein weiterer wichtiger Hinweis auf ein chronisches OHS ist ein erhöhter Bicarbonat-Wert (> 27 mmol/l). Dieser Wert zeigt an, dass der Körper bereits länger versucht, die Übersäuerung durch hohe CO₂-Werte auszugleichen. Ein normaler oder niedrigerer Bicarbonat-Wert (< 27 mmol/l) spricht hingegen eher gegen ein OHS. Wenn bei übergewichtigen Patienten mit Schlafapnoe ein hoher Bicarbonat-Wert gemessen wird, ist dies ein Warnsignal, das unbedingt durch eine Blutgasanalyse weiter abgeklärt werden sollte.
Polysomnographie (PSG) – Untersuchung im Schlaflabor
Da das OHS fast immer mit nächtlichen Atemstörungen einhergeht, ist eine Schlaflabor-Untersuchung (Polysomnographie) entscheidend. Dabei wird unter anderem der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) bestimmt, also wie oft Atempausen während des Schlafs auftreten. Bei OHS mit begleitender Schlafapnoe ist dieser Wert meist deutlich erhöht (AHI ≥ 30 pro Stunde), beim reinen OHS hingegen niedrig (unter 5 pro Stunde).
Zusätzlich misst die Polysomnographie den nächtlichen CO₂-Wert, da eine anhaltende Erhöhung während des Schlafs typisch für OHS ist. Auch lange Phasen mit Sauerstoffmangel (Hypoxämie) können beobachtet werden – meist deutlich ausgeprägter als bei einer reinen Schlafapnoe.
Lungenfunktionstest und Bodyplethysmographie
Zur Abgrenzung von anderen Lungenerkrankungen, wie COPD, Asthma oder einer eingeschränkten Lungenfunktion durch Deformierungen des Brustkorbs, ist eine ausführliche Lungenfunktionsprüfung notwendig. Typischerweise zeigen Patienten mit OHS hier eine leichte bis mittelschwere restriktive Ventilationsstörung, verursacht durch die mechanische Einschränkung der Lunge aufgrund des Übergewichts. Besonders das sogenannte exspiratorische Reservevolumen (ERV) ist deutlich reduziert.
Die Bodyplethysmographie liefert zusätzliche Informationen über die Atmungsfunktion, z. B. über den Atemwegswiderstand und die Elastizität der Lunge. Bei OHS-Patienten sind diese Werte oft stärker verändert als bei adipösen Personen mit reiner Schlafapnoe (ohne Hyperkapnie). Ergänzend können bildgebende Untersuchungen wie Röntgenaufnahmen oder ein CT des Brustkorbs helfen, andere Ursachen (z. B. Zwerchfellhochstand oder Lungenkrankheiten) auszuschließen.
Laborwerte und weitere Untersuchungen
Neben den bisher genannten Untersuchungen werden bei Verdacht auf OHS weitere Begleiterkrankungen und Risikofaktoren untersucht. Dazu gehören Schilddrüsenwerte, da eine Schilddrüsenunterfunktion die Atmung zusätzlich erschweren kann. Ein Blutbild gibt Hinweise auf eine erhöhte Anzahl roter Blutkörperchen (Polyglobulie) als Zeichen eines chronischen Sauerstoffmangels. Da OHS oft mit einem metabolischen Syndrom verbunden ist, werden auch Blutzucker (HbA1c) und Blutfettwerte überprüft.
Eine Echokardiographie (Herzultraschall) ist ebenfalls sinnvoll, um mögliche Belastungen des Herzens (z. B. Lungenhochdruck oder Cor pulmonale) frühzeitig zu erkennen.
Die Diagnose eines OHS erfolgt interdisziplinär – also in enger Zusammenarbeit zwischen Lungenfachärzten, Schlafmedizinern, Internisten und anderen Spezialisten. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Erkrankung sicher erkannt und richtig behandelt wird.
Therapie des OHS – Wie wird behandelt?
Die Behandlung des Obesitas-Hypoventilationssyndroms (OHS) verfolgt mehrere Ziele: Die Verbesserung der Atmung, die Normalisierung der erhöhten Kohlendioxidwerte (Hyperkapnie) und die Vermeidung langfristiger Komplikationen. Dafür kombiniert man Gewichtsreduktion, nächtliche Atemunterstützung und weitere unterstützende Maßnahmen.
Lebensstilintervention und Gewichtsreduktion – Der wichtigste Schritt
Da Übergewicht die Hauptursache für OHS ist, steht die Gewichtsreduktion an erster Stelle der Behandlung. Schon moderate Gewichtsverluste können Atmung und Lungenfunktion verbessern. Allerdings reichen konservative Maßnahmen (Ernährungsumstellung, Sport, Verhaltenstherapie) oft nur für etwa 5–10 % Gewichtsverlust19Ochner, C. N., Barrios, D. M., Lee, C. D., & Pi-Sunyer, F. X. (2013). Biological mechanisms that promote weight regain following weight loss in obese humans. Physiology & behavior, 120, 106–113. https://doi.org/10.1016/j.physbeh.2013.07.009., was in vielen Fällen nicht genügt, um die Atemprobleme dauerhaft zu beheben.
Leitlinien empfehlen daher, das Körpergewicht um mindestens 25–30 % zu reduzieren, da erst in diesem Bereich eine vollständige Normalisierung der Atmung möglich ist20Mokhlesi, B., Masa, J. F., Brozek, J. L., Gurubhagavatula, I., Murphy, P. B., Piper, A. J., Tulaimat, A., Afshar, M., Balachandran, J. S., Dweik, R. A., Grunstein, R. R., Hart, N., Kaw, R., Lorenzi-Filho, G., Pamidi, S., Patel, B. K., Patil, S. P., Pépin, J. L., Soghier, I., Tamae Kakazu, M., … Teodorescu, M. (2019). Evaluation and Management of Obesity Hypoventilation Syndrome. An Official American Thoracic Society Clinical Practice Guideline. American journal of respiratory and critical care medicine, 200(3), e6–e24. https://doi.org/10.1164/rccm.201905-1071ST.. Solch hoher Gewichtsverlust gelingt meist nur mit einer bariatrischen Operation (z. B. Magenbypass oder Schlauchmagen). Studien belegen, dass nach bariatrischer Chirurgie viele OHS-Patienten auf die nächtliche Atemunterstützung verzichten können, weil sich die Atmung deutlich verbessert oder sogar komplett normalisiert21Orozco González, B. N., Rodriguez Plascencia, N., Palma Zapata, J. A., Llamas Domínguez, A. E., Rodríguez González, J. S., Diaz, J. M., Ponce Muñoz, M., & Ponce-Campos, S. D. (2024). Obesity hypoventilation syndrome, literature review. Sleep advances : a journal of the Sleep Research Society, 5(1), zpae033. https://doi.org/10.1093/sleepadvances/zpae033. 22Chau, E. H., Mokhlesi, B., & Chung, F. (2013). Obesity Hypoventilation Syndrome and Anesthesia. Sleep medicine clinics, 8(1), 135–147. https://doi.org/10.1016/j.jsmc.2012.11.006.. In einigen Fällen kommt es sogar zu einer vollständigen Heilung des OHS23Ramírez Molina, V. R., Masa Jiménez, J. F., Gómez de Terreros Caro, F. J., & Corral Peñafiel, J. (2020). Effectiveness of different treatments in obesity hypoventilation syndrome. Pulmonology, 26(6), 370–377. https://doi.org/10.1016/j.pulmoe.2020.05.012.. Langfristig hängt der Therapieerfolg jedoch von der Gewichtskontrolle ab, da eine erneute Gewichtszunahme die Atemfunktion wieder verschlechtern kann.
Jeder verlorene Kilogramm Körpergewicht entlastet die Atemmuskulatur und verbessert auch andere Begleiterkrankungen (Blutdruck, Blutzucker), wodurch insgesamt die Lebensqualität steigt.
Atemunterstützende Therapie (CPAP und NIV)
Da eine Gewichtsreduktion meist viel Zeit benötigt und nicht immer vollständig gelingt, stellt die nächtliche Atemunterstützung mit positivem Atemwegsdruck (PAP-Therapie) die wichtigste symptomatische Behandlung dar. Dabei gibt es zwei Varianten:
- CPAP (Continuous Positive Airway Pressure)
CPAP ist die Standard-Erstlinientherapie bei Patienten mit OHS und gleichzeitiger obstruktiver Schlafapnoe (OSA). Ein kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck hält nachts die Atemwege offen, verhindert Atempausen und verbessert dadurch den Sauerstoffaustausch. Allerdings genügt CPAP nicht immer, besonders dann, wenn eine deutliche Hypoventilation weiterhin besteht. - NIV (nicht-invasive Beatmung, z. B. BiPAP)
Bei ausgeprägter Hypoventilation (reines OHS) oder wenn CPAP allein nicht ausreicht, kommt die nicht-invasive Beatmung (NIV) im Bi-Level-Modus (z. B. BiPAP) zum Einsatz. Dabei wird zusätzlich zur Offenhaltung der Atemwege aktiv die Atmung unterstützt, indem zwei Druckniveaus (höher beim Einatmen, niedriger beim Ausatmen) eingesetzt werden.
Studien zeigen, dass beide Verfahren wirksam sind und Symptome wie Tagesmüdigkeit, Kopfschmerzen und Atemnot deutlich verbessern24Young, R., & Benjamin, A. (2023). The assessment and management of obstructive sleep apnoea-hypopnoea syndrome and obesity hypoventilation syndrome in obesity. Clinical medicine (London, England), 23(4), 372–379. https://doi.org/10.7861/clinmed.2023-0151. 25Nicolini, A., Banfi, P., Grecchi, B., Lax, A., Walterspacher, S., Barlascini, C., & Robert, D. (2014). Non-invasive ventilation in the treatment of sleep-related breathing disorders: A review and update. Revista portuguesa de pneumologia, 20(6), 324–335. https://doi.org/10.1016/j.rppneu.2014.03.009.. NIV bietet häufig eine stärkere CO₂-Reduktion, während CPAP einfacher in der Anwendung ist. Die Wahl der Methode richtet sich individuell nach Schwere der Erkrankung und persönlicher Verträglichkeit.
Wichtig: Eine alleinige Sauerstoffgabe (Langzeittherapie mit O₂) ohne Atemunterstützung ist bei OHS nicht ausreichend und sogar gefährlich, da sie den Atemantrieb weiter vermindern und das CO₂-Problem verschlimmern kann.
Medikamentöse Therapie – nur begrenzt wirksam
Für das OHS gibt es aktuell keine speziell zugelassenen Medikamente. In der Vergangenheit wurden Medikamente getestet, die den Atemantrieb anregen sollen (z. B. Medroxyprogesteronacetat oder Acetazolamid). Diese Substanzen konnten in Studien zwar die Atmung etwas verbessern26Wagenaar, M., Vos, P. J., Heijdra, Y. F., Teppema, L. J., & Folgering, H. T. (2002). Combined treatment with acetazolamide and medroxyprogesterone in chronic obstructive pulmonary disease patients. The European respiratory journal, 20(5), 1130–1137. https://doi.org/10.1183/09031936.02.00016402. 27Wagenaar, M., Vos, P., Heijdra, Y., Teppema, L., & Folgering, H. (2003). Comparison of acetazolamide and medroxyprogesterone as respiratory stimulants in hypercapnic patients with COPD. Chest, 123(5), 1450–1459. https://doi.org/10.1378/chest.123.5.1450., haben aber erhebliche Nebenwirkungen (z. B. erhöhtes Thromboserisiko) und werden deshalb nicht für die Dauerbehandlung empfohlen.
In akuten Krisensituationen (z. B. stark erhöhtes CO₂ im Blut) kommen gelegentlich kurzfristig Atemstimulanzien wie Doxapram zum Einsatz. Die langfristige Lösung bleibt jedoch die nächtliche nicht-invasive Beatmung (NIV).
Chirurgische Behandlung – langfristige Chance auf Heilung
Die wichtigste chirurgische Behandlungsmöglichkeit bei OHS ist die bariatrische Chirurgie, also operative Maßnahmen zur drastischen Gewichtsreduktion (z. B. Schlauchmagen oder Magenbypass). Eine solche Operation ist meist erst ab einem BMI ≥ 40 oder ≥ 35 bei bestehenden Begleiterkrankungen (wie OHS) angezeigt.
Die Ergebnisse sind beeindruckend: Nach bariatrischer Operation benötigen viele Patienten keine nächtliche Beatmung mehr, ihre Schlafapnoe verschwindet oft vollständig, und die Blutgaswerte normalisieren sich. Andere chirurgische Methoden, wie die Anlage eines Luftröhrenschnitts (Tracheostomie), werden heute praktisch nicht mehr angewandt, da die nicht-invasive Beatmung so wirksam ist.
Behandlung von Begleiterkrankungen und unterstützende Maßnahmen
Neben der spezifischen OHS-Therapie ist es entscheidend, Begleiterkrankungen konsequent mitzubehandeln: Dazu gehören Blutdrucksenkung, Therapie der Herzinsuffizienz, Antikoagulation bei erhöhter Thromboseneigung und die Vermeidung von Substanzen, die die Atmung zusätzlich beeinträchtigen (z. B. Alkohol, Beruhigungsmittel, Opioide).
Viele Patienten profitieren außerdem von multimodaler Rehabilitation (Bewegungstherapie, Ernährungsberatung) und psychosozialer Unterstützung, da das OHS die Lebensqualität massiv beeinträchtigen kann und häufig auch psychische Probleme verursacht.
Risiken und Langzeitfolgen – Warum OHS gefährlich ist
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS) ist weit mehr als eine lästige Begleiterscheinung von Übergewicht. Bleibt es unbehandelt, kann es schwerwiegende Folgen für Herz, Lunge und andere Organe haben – bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Es lohnt sich daher, genau hinzuschauen, welche Risiken bei einem unbehandelten OHS drohen.
Kardiopulmonale Folgen – Belastung für Herz und Lunge
Die chronische Unterbelüftung der Lunge (Hypoventilation) führt langfristig zu gravierenden gesundheitlichen Schäden, insbesondere am Herz-Kreislauf-System. Durch den dauerhaften Sauerstoffmangel reagieren die Blutgefäße in der Lunge mit einer Verengung (pulmonale Vasokonstriktion). Auf Dauer entsteht daraus ein Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie), der das rechte Herz überlastet. Viele Betroffene entwickeln dadurch eine Rechtsherzschwäche, medizinisch Cor pulmonale genannt. Typische Symptome dafür sind Wassereinlagerungen in Beinen und Füßen (Ödeme), hervortretende Halsvenen und eine ausgeprägte Leistungsminderung.
Zusätzlich verstärkt das häufig begleitende metabolische Syndrom – bestehend aus Bluthochdruck, Diabetes und erhöhten Blutfettwerten – das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall weiter. Auch Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern, sind bei OHS-Patienten häufiger zu beobachten.
Ein weiterer belastender Faktor ist die chronisch erhöhte Konzentration von Kohlendioxid (Hyperkapnie), welche den Kreislauf zusätzlich anregt und den Blutdruck langfristig erhöht. Die Atemmuskulatur, insbesondere das Zwerchfell, ermüdet zunehmend durch die ständige Belastung, was die Atemreserve weiter einschränkt. Die Folge: Schon kleinste körperliche Belastungen führen zu Luftnot. Ohne Therapie entsteht dadurch eine negative Spirale aus sinkender Belastbarkeit, Bewegungsmangel und weiterer Gewichtszunahme, welche die Erkrankung zusätzlich verschlimmert.
Mortalität – Unbehandeltes OHS verkürzt die Lebenserwartung
Besonders alarmierend sind Studien zur Sterblichkeit beim unbehandelten OHS. Eine prospektive Untersuchung zeigte, dass die Mortalität unbehandelter OHS-Patienten nach nur 18 Monaten bereits bei etwa 23 % lag – fast jeder vierte Betroffene verstarb innerhalb kurzer Zeit. Zum Vergleich: Bei adipösen Patienten ohne OHS lag die Sterblichkeit im selben Zeitraum bei lediglich 9 %28Nowbar, S., Burkart, K. M., Gonzales, R., Fedorowicz, A., Gozansky, W. S., Gaudio, J. C., Taylor, M. R., & Zwillich, C. W. (2004). Obesity-associated hypoventilation in hospitalized patients: prevalence, effects, and outcome. The American journal of medicine, 116(1), 1–7. https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2003.08.022..
Patienten, die eine empfohlene Beatmungstherapie (nicht-invasive Beatmung, NIV) ablehnten, hatten in einer weiteren Studie sogar eine Sterblichkeit von bis zu 46 % innerhalb weniger Jahre29Pérez de Llano, L. A., Golpe, R., Ortiz Piquer, M., Veres Racamonde, A., Vázquez Caruncho, M., Caballero Muinelos, O., & Alvarez Carro, C. (2005). Short-term and long-term effects of nasal intermittent positive pressure ventilation in patients with obesity-hypoventilation syndrome. Chest, 128(2), 587–594. https://doi.org/10.1378/chest.128.2.587.. Typische Todesursachen beim unbehandelten OHS sind akutes Atemversagen (oft ausgelöst durch Infekte oder Operationen), schwere Herzrhythmusstörungen mit plötzlichem Herztod, Rechtsherzversagen (Cor pulmonale) und Lungenembolien30Athayde, R. A. B., Oliveira Filho, J. R. B., Lorenzi Filho, G., & Genta, P. R. (2018). Obesity hypoventilation syndrome: a current review. Jornal brasileiro de pneumologia : publicacao oficial da Sociedade Brasileira de Pneumologia e Tisilogia, 44(6), 510–518. https://doi.org/10.1590/S1806-37562017000000332. 31Iftikhar, I. H., & Roland, J. (2018). Obesity Hypoventilation Syndrome. Clinics in chest medicine, 39(2), 427–436. https://doi.org/10.1016/j.ccm.2018.01.006.. Zudem verlaufen Infektionen, insbesondere Lungenentzündungen, bei OHS-Patienten deutlich schwerer, da die Atemreserven massiv eingeschränkt sind.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Studien zeigen klar, dass eine konsequente Therapie die Lebenserwartung erheblich verbessern kann. Unter regelmäßiger NIV-Therapie und einer begleitenden Gewichtsreduktion sinkt die Sterblichkeit deutlich. In einer retrospektiven Beobachtungsstudie lag die 18-Monats-Sterblichkeit bei Patienten mit OHS unter regelmäßiger NIV-Therapie bei nur 3,1 %32Budweiser, S., Riedl, S. G., Jörres, R. A., Heinemann, F., & Pfeifer, M. (2007). Mortality and prognostic factors in patients with obesity-hypoventilation syndrome undergoing noninvasive ventilation. Journal of internal medicine, 261(4), 375–383. https://doi.org/10.1111/j.1365-2796.2007.01765.x. 33Balan, A., & Dole, S. S. (2024). Obesity hypoventilation (Pickwickian) syndrome – „The tip of an iceberg“ in morbidly obese patients. Medical Journal of Dr. D.Y. Patil Vidyapeeth, 17(5), 1117–1121. https://doi.org/10.4103/mjdrdypu.mjdrdypu_670_23..
Dennoch bleibt OHS auch langfristig eine ernstzunehmende Erkrankung: Trotz Therapie versterben nach drei Jahren weiterhin etwa 12–32 % der Patienten34Shah, N. M., Shrimanker, S., & Kaltsakas, G. (2021). Defining obesity hypoventilation syndrome. Breathe (Sheffield, England), 17(3), 210089. https://doi.org/10.1183/20734735.0089-2021.. Gründe hierfür sind v. a. häufige Begleiterkrankungen, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die auch bei gut behandeltem OHS ein anhaltendes Risiko darstellen.
Unterm Strich zeigt sich klar, dass das Obesitas-Hypoventilationssyndrom keineswegs harmlos ist, sondern unbehandelt zu schweren gesundheitlichen Problemen führt und das Leben erheblich verkürzt. Die frühzeitige Diagnosestellung und konsequente Therapie bieten dagegen die Chance, die Lebenserwartung und Lebensqualität drastisch zu verbessern.
Fazit: OHS – Harmlos oder gefährlich?
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom ist keineswegs harmlos, sondern eine ernstzunehmende, potenziell lebensbedrohliche Erkrankung. Unbehandelt führt das OHS zu gravierenden Schäden im gesamten Körper: Chronischer Sauerstoffmangel und dauerhaft erhöhte CO₂-Werte belasten vor allem Herz, Gehirn und Lunge. Langfristig drohen schwere Komplikationen wie Herzversagen, respiratorische Dekompensation und im schlimmsten Fall sogar der Tod.
Die wissenschaftlichen Daten bestätigen diese Risiken eindrücklich: Unbehandelte OHS-Patienten haben bereits nach 18 Monaten eine Sterblichkeit von etwa 23 %, verglichen mit nur 9 % bei adipösen Personen ohne OHS. Häufige Todesursachen sind pulmonale Hypertonie und Rechtsherzversagen (Cor pulmonale), aber auch akute Atemnotfälle, die zu intensivmedizinischen Notaufnahmen führen können.
Allerdings gibt es auch eine positive Botschaft: Das OHS ist gut behandelbar, wenn es rechtzeitig erkannt wird. Durch konsequente Gewichtsreduktion und nächtliche Beatmungstherapie (z. B. CPAP oder NIV) lassen sich die Blutgaswerte häufig normalisieren, Symptome lindern und das Sterberisiko deutlich reduzieren. Viele Patienten gewinnen durch eine konsequente Therapie einen Großteil ihrer Lebensqualität zurück und können ein fast normales Leben führen.
Die eigentliche Gefahr beim OHS besteht somit darin, dass die Erkrankung oft zu spät erkannt oder unterschätzt wird. OHS ist keine harmlose „Nebenwirkung“ von Übergewicht oder nur ein „lästiges Schnarchen“, sondern eine chronische Ateminsuffizienz, die ebenso ernst genommen werden muss wie andere chronische Organerkrankungen. Fachgesellschaften wie die American Thoracic Society (ATS), die European Respiratory Society (ERS) und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) betonen daher ausdrücklich, wie wichtig eine frühzeitige Diagnose und konsequente Behandlung des OHS sind.
Das Obesitas-Hypoventilationssyndrom ist gefährlich, aber zugleich sehr gut therapierbar – entscheidend ist jedoch, dass es frühzeitig erkannt und konsequent behandelt wird. Nur so lassen sich schwerwiegende gesundheitliche Folgen vermeiden und die Lebenserwartung sowie die Lebensqualität der Patienten wesentlich verbessern.